66
Das Gesetz tendiert stets dahin, die Starken zu schützen und die Schwachen zu unterdrücken. Die Abhängigkeit von der Macht zerfrisst die Gerechtigkeit.
Kronprinz Raphael Corrino,
Grundsätze der Zivilisation
Auch wenn er den arroganten Premierminister Calimar verachtete, hätte Baron Harkonnen niemals damit gerechnet, dass Shaddam Atomwaffen gegen das Haus Richese einsetzen würde. Atomwaffen! Als ihn die Neuigkeit auf Arrakis erreichte, reagierte er mit sehr gemischten Gefühlen, und er machte sich Sorgen um seine eigene Sicherheit. Vor dem widerwärtigen Eifer des Imperators war niemand sicher, erst recht nicht das Haus Harkonnen, das viel zu verbergen hatte.
Von seinem Suspensorgürtel unterstützt ging der Baron in seinem Strategieraum in der Residenz von Carthag auf und ab. Durch eine Wand aus konvexen Panzerplazfenstern schien das grelle Sonnenlicht herein, das durch Filterfilme auf den zwei Zentimeter dicken Scheiben gedämpft wurde.
Die Barrieren und das Summen der Sicherheitssysteme schwächten die Geräusche von draußen ab, wo eine Militärparade vorbereitet wurde, die demnächst auf dem Hauptplatz stattfinden sollte. Am Rande seines Gesichtsfeldes sammelten sich Truppen in der nachmittäglichen Hitze. Alle Männer gingen in voller Bewaffnung und blauen Paradeuniformen.
Mit einer großen Fanfare war der Baron in Begleitung seines Neffen auf den Wüstenplaneten zurückgekehrt. In einem seltenen Augenblick der Klugheit hatte Rabban vorgeschlagen, dass sie in der Nähe der Gewürzproduktion blieben, bis die »lästigen imperialen Angelegenheiten« überstanden waren.
Der Baron schlug mit der Faust gegen das Fenster, dass das Plaz erzitterte. Was mochte Shaddam als Nächstes im Schilde führen? Es war Wahnsinn! Ein ganzes Dutzend Landsraad-Familien hatte freiwillig ein Vermögen aufgegeben, das sie in Gewürz angelegt hatten, um in armseliger Zerknirschung weitere Demonstrationen des imperialen Zorns zu vermeiden.
Niemand ist sicher.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis die MAFEA-Prüfer auch auf Arrakis herumschnüffelten ... was für den Baron und sein Großes Haus durchaus das Ende bedeuten mochte. Es sei denn, er konnte seine privaten Vorräte gut verstecken.
Zu allem Überfluss raubten die verdammten Fremen immer wieder seine geheimen Lager aus! Sie hatten schon mehrere der größten Depots ausfindig gemacht! Die Wüstenratten waren Opportunisten, die den Feldzug des Imperators schamlos ausnutzten, weil sie genau wussten, dass der Baron ihre Überfälle nicht melden durfte, um nicht selbst eines Verbrechens bezichtigt zu werden.
Draußen hingen riesige Fahnen mit dem blauen Harkonnen-Wappen von den hohen Gebäuden. Rund um die Residenz von Carthag hatte man Statuen von Greifen aufgestellt, riesige Monster, die bereit schienen, es sogar mit den großen Sandwürmern aufzunehmen. Die zwangsverpflichtete Menge hatte sich auf dem Platz versammelt, arme Teufel, die von ihren Bettelposten verscheucht oder aus ihren schmutzigen Hütten geholt worden waren, damit sie auf Befehl jubelten.
Normalerweise zog der Baron es vor, seinen Reichtum für private Vergnügungen zu verschwenden, aber heute hielt er sich an das Vorbild des Imperators. Mit Prunk und buntem Spektakel würde er die verarmte Bevölkerung einschüchtern. Das besserte seine Stimmung ein wenig – nach dem peinlichen Debakel mit dem Bankett. Künftig wollte er auf gar keinen Fall mehr danach streben, dem Beispiel der Atreides zu folgen und die Gunst des Volkes zu gewinnen. Baron Wladimir Harkonnen wollte nicht, dass seine Untertanen ihn liebten. Sie sollten ihn fürchten.
Eine Kurierin der Gilde stand nervös am offenen Eingang zum Strategieraum und schien allmählich die Geduld zu verlieren. »Baron, mein Heighliner bricht in weniger als zwei Stunden auf. Wenn Sie eine Sendung für den Imperator haben, müsste ich sie demnächst mitnehmen.«
Verärgert wirbelte der korpulente Mann herum. Aufgrund der Trägheit der Suspensoren wurde es keine sehr elegante Bewegung, sodass er sich an einer Wand abfangen musste. »Sie werden warten! Ein wichtiger Teil meiner Nachricht werden Bilder von der Parade sein, die in Kürze beginnt.«
Das Haar der Kurierin war kurz und weinrot, und sie hatte harte und unattraktive Gesichtszüge. »Ich werde nur so lange bleiben, wie ich Zeit habe.«
Mit einen unwilligen Grunzen schwebte der Baron in übertrieben würdevoller Pose zu seinem Schreibtisch zurück. Er murrte, weil ihm keine angemessene Formulierung für den Rest seiner Botschaft einfiel, und wünschte sich, Piter de Vries wäre hier, um ihm zu helfen. Aber der verderbte Mentat weilte immer noch auf Kaitain, wo er in seinem Auftrag spionierte.
Vielleicht hätte er diesen Anstandslehrer am Leben lassen sollen. Trotz seiner grotesken Vorstellungen hatte Mephistis Cru gewusst, wie man eine schwierige Angelegenheit in höfliche Worte fasste.
Mit pummeligen Fingern schrieb der Baron einen weiteren Satz, dann lehnte er sich zurück und dachte nach, wie er am besten die jüngste Häufung von »Unfällen« und verlorener Ernteausrüstung erklärte, mit denen er seine Unterschlagungen vertuscht hatte. Erst kürzlich hatte Shaddam in einer imperialen Botschaft seine Sorge wegen dieses Problems zum Ausdruck gebracht.
Ausnahmsweise war der Baron froh, dass es der Raumgilde niemals gelungen war, hier eine funktionierende Wetterbeobachtung durch Satelliten einzurichten. So konnte er behaupten, dass es zu kurzen und heftigen Stürmen gekommen war, obwohl es gar nicht den Tatsachen entsprach. Aber vielleicht war er schon zu weit gegangen ... und es gab bereits zu viele Hinweise, die seine Aktivitäten verrieten.
Wir leben in gefährlichen Zeiten.
»Wie ich Ihnen bereits gemeldet habe, Majestät, nehmen die Schwierigkeiten mit den Fremen zu«, schrieb er. »Die Terroristen zerstören unsere Ausrüstung und stehlen geerntetes Gewürz, um in der Wüste zu verschwinden, bevor wir eine angemessene militärische Reaktion organisieren können.« Der Baron schürzte die Lippen und versuchte, den richtigen Ton der Zerknirschung zu treffen. »Ich gebe zu, dass wir vielleicht etwas zu nachsichtig mit ihnen umgegangen sind, aber nachdem ich jetzt wieder auf Arrakis weile, werde ich mich persönlich um Vergeltungsmaßnahmen kümmern. Wir werden die aufsässigen Eingeborenen züchtigen, bis sie dem Befehl der Harkonnens gehorchen, im ruhmreichen Namen Eurer Imperialen Majestät.«
Möglicherweise waren seine Worte ein wenig zu übertrieben, aber er beschloss, nichts mehr daran zu ändern. Shaddam neigte nicht dazu, sich über zu viele Komplimente zu beschweren.
Die schurkischen Fremen hatten vor kurzem einen gepanzerten Gewürztransporter gestohlen und ein weiteres Lager in einem verlassenen Wüstendorf ausgeraubt. Woher hatten die dreckigen Guerrillas gewusst, dass sie dort zuschlagen konnten?
Die Kurierin wurde immer nervöser, aber der Baron ignorierte die Frau. »Ich verspreche Ihnen, dass wir diese Unruhen nicht länger tolerieren, Herr«, schrieb er weiter. »Ich werde Ihnen regelmäßig berichten, wie wir die Verräter zur Rechenschaft ziehen.«
Er schloss den Brief mit einer schwungvollen Unterschrift ab und versiegelte ihn im Nachrichtenzylinder, dann drückte er ihn umstandslos der Kurierin in die Hand. Ohne ein Wort drehte sich die Frau um und machte sich durch die Korridore auf den Rückweg zum Raumhafen von Carthag. Der Baron rief ihr nach: »Halten Sie sich auf dem Heighliner bereit, der Nachricht Bilder beizufügen, die Ihnen übermittelt werden. Meine Parade wird in Kürze beginnen.«
Als Nächstes rief er seinen Neffen in den Strategieraum. Trotz seiner vielen Fehler gab es eine Aufgabe, für die die »Bestie« bestens geeignet war. Der breitschultrige Mann stapfte herein. Am Gürtel hing seine häufig benutzte Inkvinepeitsche. Er hatte eine knallblaue Uniform mit goldenem Besatz und schweren Orden angelegt und sah aus, als wollte er die Hauptrolle in der militärischen Vorstellung spielen und sie nicht nur von einem hohen Balkon aus beobachten.
»Rabban, wir müssen dem Imperator klarmachen, wie wütend wir wegen der jüngsten Aktivitäten der Fremen sind.«
Die dicken Lippen verzogen sich zu einem grausamen Lächeln, als würde die Bestie bereits ahnen, was man ihr auftragen würde. »Soll ich ein paar Verdächtige zusammentreiben und sie befragen? Sie werden jedes Geständnis ablegen, das du hören möchtest.«
Draußen hallte ein Trompetenstoß durch die trockene Luft und kündigte die Ankunft der Harkonnen-Truppen an.
»Das ist nicht gut genug, Rabban. Ich möchte, dass du drei Dörfer aussuchst – irgendwelche. Tipp meinetwegen mit dem Finger auf die Landkarte. Dann marschierst du mit Soldaten ein und machst die Siedlungen dem Erdboden gleich. Kein Gebäude soll stehen bleiben, kein Bewohner soll überleben. Anschließend sollen es nur noch schwarze Rußflecken in der Wüste sein. Vielleicht schreibe ich noch ein Urteil mit einer Auflistung ihrer angeblichen Verbrechen. Davon kannst du Kopien am Schauplatz des Gemetzels zurücklassen, damit der Rest des Fremen-Pöbels gewarnt ist.«
Wieder ertönten Trompeten auf dem Platz. Der Baron trat mit seinem Neffen auf die Beobachtungsplattform hinaus. Die Menge war missgelaunt, und der Gestank ihrer ungewaschenen Körper reichte sogar bis hier herauf. Der Baron konnte sich kaum vorstellen, wie unerträglich die Luft drei Stockwerke tiefer in der Gluthitze des Platzes sein mochte.
»Genieße das kleine Vergnügen«, sagte der Baron und hob einen ringbesetzten Finger. »Eines Tages wird dein Bruder Feyd alt genug sein, um dich auf diesen ... lehrreichen Ausflügen zu begleiten.«
Rabban nickte. »Wir werden den gesetzlosen Banditen zeigen, wer hier das Sagen hat.«
»Ja, ich weiß«, erwiderte der Baron geistesabwesend.
Die Soldaten in den schmucken Uniformen stellten sich auf. Es waren hübsche, kräftige Männer – ein Anblick, der dem Baron immer wieder große Freude bereitete. Die Parade begann.